Das Leben in Zeiten der Vergänglichkeit

Objekt des Monats Oktober 2023

Eiserner Fingerring mit Nicolo-Glasgemme, die einen lesenden Philosophen zeigt.

Was ist der Sinn des Lebens? »42« ist wohl nur eine von unzähligen möglichen Antworten auf diese Frage.

Eine eigene Antwort hat unser Objekt des Monats im Oktober 2023 zwar nicht parat, aber es bezeugt eindrucksvoll, dass die Thematik um die Vergänglichkeit und die Suche nach der Bedeutung des irdischen Daseins Menschen von jeher beschäftigt hat.

Es handelt sich um eine blaue Glasgemme, die in einen eisernen Fingerring eingelassen ist. Der Ring wurde bei Ausgrabungen im römischen Militärkastell von Oberstimm gefunden und stammt vermutlich – ebenso wie die zugehörige Gemme – aus der Zeit um Christi Geburt.

Rechts im Bild dargestellt ist ein Mann, der auf einem Schemel hockt und in einer Schriftrolle liest. Er trägt einen Vollbart und ein langes Gewand. Vor ihm, links im Bild, steht ein Behältnis für weitere Schriftrollen. Auf diesem sogenannten scrinium wiederum liegt ein Totenschädel.

Das Bild lässt sich somit als Darstellung eines Philosophen deuten, der im Angesicht der eigenen Sterblichkeit über das Leben sinniert. In einigen Varianten des Motivs schwebt über dem Totenkopf zusätzlich ein Schmetterling. Der Schmetterling kann in der römischen Bildsprache die menschliche Seele verkörpern.

Die Kombination von Schmetterling und Totenkopf symbolisiert bekannte lateinische Redewendungen und Begriffe wie memento mori (sinngemäß: »Bedenke, dass du sterblich bist!«), carpe diem (»Nutze den Tag«) oder vanitas (»Vergänglichkeit«). Es handelt sich um Ideen, die sich von der Antike über das Mittelalter bis in die Gegenwart hineinziehen.

Das memento mori geht ursprünglich auf den römischen Triumphzug zurück: Auf dem Wagen des Triumphators fuhr ein Sklave mit, der diesem einen schweren goldenen Kranz über den Kopf hielt und dabei fortwährend die Worte einflüsterte: »Schau hinter dich! Denke daran, dass du nur ein Mensch bist!«. Allerdings war das nicht als moralische Botschaft oder »Life Coaching« gemeint, sondern es handelte sich um ein magisches Ritual. Der Triumphator sollte nicht Gefahr laufen, durch Überheblichkeit den Zorn der Götter oder andere unheilvolle Mächte heraufzubeschwören.

Dass sich aber nicht nur Philosophen und Triumphatoren mit der Sterblichkeit herumplagen mussten, legen andere Gemmen-Darstellungen nahe, in denen auch ein Bauer vor einem Totenschädel mit Schmetterling steht. Dazu passt ein Zitat des Dichters Horaz: »Der bleiche Tod klopft mit gleichem Fuß an die Schänken der Armen und die Paläste der Reichen.«

Doch spinnen wir die Aussage der Gemme weiter, so hält sie vermutlich noch eine weitere Botschaft bereit, die im antiken Rom wie auch heute noch Gültigkeit besitzt, nämlich das irdische Leben so gut als möglich zu genießen.

Markus Strathaus


Literatur

G. Platz-Horster, Antike Gemmen aus Bayern in der Archäologischen Staatssammlung, Ausstellungskataloge der Archäologischen Staatssammlung 42 (München 2018) 102 Kat. 83

H. Schönberger, Kastell Oberstimm. Die Grabungen von 1968 bis 1971, Limesforschungen 18 (Berlin 1978) 184 Kat. B 409 mit Taf. 42